Glocken, Schellen, Rollen
Klänge zwischen Himmel und Erde
Manche sind tonnenschwer, andere messen nur wenige Millimeter. Sie künden vom Anfang und Ende, sagen die Zeit an, machen Musik, warnen, nerven und verzaubern: Kirchenglocken, Narrenrollen, Froschmaulschellen. Eine klingende Reise.
Ein Mittwochabend in der Gustav Adolf-Gedächtniskirche in Nürnberg. Gleich werden hier die Glocken läuten. Nein, nicht die vom Turm, sondern die in der Hand. Nach und nach treffen immer mehr Menschen im Gemeindesaal ein. Tische werden aufgebaut und mit Schaumstoffmatratzen bedeckt, Instrumentenkoffer öffnen sich, wobei es immer wieder eigentümlich klingelt.
Schließlich stehen mehr als 70 aus Bronze gegossene Glocken unterschiedlicher Größe auf den Matratzen. An ihren Enden befinden sich lederne Handschlaufen, in die nun behutsam und sicher hineingegriffen wird. 13 Frauen und Männer stehen bereit und blicken auf ihren Dirigenten. Allen Beteiligten im Haus und auch den Nachbarn ist klar: der Nürnberger Handglockenchor beginnt seine unüberhörbare Probe.
Es klingelt im Ohr und macht irgendwie selig beim Zuhören, es ist ein goldenes, verlockendes Klangbad. Jeder Spieler bedient zwei bis sechs Glocken gleichzeitig, gemeinsam entsteht eine Melodie. Es ist ein ständiges Aufeinanderhören; fällt einer aus, fehlen seine Töne, droht das gesamte Klanggebilde auseinanderzufallen. Das sollte möglichst nicht passieren, bei einem der vielen Konzerte, die der Chor in der Vorweihnachtszeit gibt.
Tom Keeton ist der künstlerische Leiter und Gründer des Handglockenchores Nürnberg. "Ich habe einen Hintergrund als Laienmusiker", erklärt der pensionierte Offizier der US Army. "Ich habe in Amerika verschiedene Kirchenchöre dirigiert. Auch mitgesungen in vielen Chören. Und in den Siebzigern habe ich in Denver, Colorado die Handglocken kennengelernt."
Seitdem hat ihn die Begeisterung dafür nicht mehr losgelassen. 1990 kommt er nach Nürnberg, gründet dort zwei Jahre später den ersten Handglockenchor der Stadt. Bis heute gibt es davon nur zwei in ganz Bayern, der andere ist in Aschaffenburg beheimatet. Bei kirchlichen und weltlichen Feierlichkeiten sorgt der Nürnberger Handglockenchor für einen ausgesprochen ausgefallenen Klang. Die Vielzahl an Glocken macht Eindruck und die unterschiedlichen Spieltechniken überraschen.
"Wenn ich sage, dass ich einen Handglocken-Chor habe, was denken die Leute dann in Bayern? Kuhglocken. Das ist der erste Gedanke", sagt Keeton, und dass Handglocken ein ganz anderes Hörerlebnis bieten. "Wir können mit den Glocken alle Musiken spielen. Kirchenlieder, Gospels, Musicals." Und alle klingen einzigartig andersartig.
Dazu gibt es unterschiedliche Spieltechniken. "Wir können die Glocke einfach vor uns schlagen, der Klöppel bewegt sich nur hin und zurück. Unsere Tische sind mit Schaumstoff gepolstert und die Glocken liegen darauf. Wenn wir sie hochheben, gibt es einen anderen Effekt. Oder wir können mit Klöppeln spielen, so wie ein Xylophon. Sehr vielfältig", erklärt Keeton.
Eine Glocke als Instrument zu verwenden, ist eine Tradition, die bis ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückreicht. Vor allem im asiatischen Kulturraum ist die gestimmte Handglocke nach wie vor sehr verbreitet. Kreuzritter brachten sie im Mittelalter nach Europa. Dort wurde sie vor allem in Großbritannien geschätzt, als englische Turmläuter im 17. Jahrhundert die Idee hatten, kleinere, handlichere Glocken zum Üben zu verwenden, statt die lauten Turmglocken anzuschlagen, die die Bevölkerung bei zu häufigem Gebrauch zunehmend störten. Besonders populär wurden die handlichen Instrumente in den USA. Dort haben viele Gemeinden eigene Handglockenchöre, es gibt sogar einen großen Dachverband.
"Amerika ist geteilt in Regionen. Sie haben Festivals bei denen 20, 30 manchmal auch 50 Chöre in riesigen Turnhallen zusammenkommen. Und alle spielen unter einem Dirigenten, es ist riesig. Nicht alle, aber viele Kirchengemeinden haben Handglockenchöre, so wie hier in Deutschland die Posaunenchöre, so ist das in Amerika mit den Handglockenchören."
Tom Keeton, künstlerischer Leiter Handglockenchor Nürnberg
Chorleiter Thomas Keeton ist stolz auf sein Ensemble und er hat auch seinen Partner Werner Schmelz für das Instrument begeistern können. Er ist seit Anfang an dabei, seit der Gründung vor 30 Jahren. Schmelz erzählt vom ersten Glockenchor-Kontakt: "Ich muss ehrlich sagen, als wir in Amerika waren, da hat er gesagt, wir gehen in ein Glockenchorkonzert. Da habe ich mir gedacht: um Gottes Willen. Das ist bestimmt mit Kuhglocken. Und dann war ich so begeistert. Und der Klang – den kann man bloß als himmlisch beschreiben."
https://www.br.de/radio/bayern2/sendungen/zeit-fuer-bayern/glocken-klaenge-zwischen-himmel-und-erde-100.html
© 1995-2023 First English Handbell Choir, Nürnberg
CDs
CD Himmlischer Glockenklang (2014)
Für die Ohren: Titel Nr.3 “Gavotte”
CD Himmlische Weihnachtsklänge (2015)
Für die Ohren: Titel Nr. 13 “We wish you a Merry Christmas”
Die CDs sind über Tom Keeton erhältlich (Tel. 0911 512009 oder
Video
Quelle: Bayerischer Rundfunk
Sendung: Wir in Bayern (vom 09.07.2013)
Chor
Unser Chor wurde am 01.06.1995 von Herrn Tom Keeton in Fürth in der amerikanischen Kaserne gegründet.
Nach Abzug der amerikanischen Streitkräfte besteht der Chor nun aus deutschen Spielern. Wir üben in der Gustav-Adolf-Gedächtniskirche in Nürnberg. Die wohltemperiert gestimmten Glocken erzeugen einen warmen und weichen Klang, der klassischer, sowie auch moderner Musik eine ganz spezielle Note verleiht.
Jedes Chormitglied spielt bis zu sechs, manchmal gar acht Handglocken. Das Repertoire umfasst geistliche und weltliche Musik.
Handglocken sind gegossene Glocken aus Bronze, welche je nach Tonhöhe ein unterschiedliches Gewicht aufweisen. Unsere kleinste Glocke wiegt kaum 200 Gramm, die größte ist fast vier Kilo schwer. Die Handglocken des Chores umfassen einen Tonumfang von 5 Oktaven.